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Stärkentests: Hilfreich oder riskante Vereinfachung?

Geschrieben von Yvonne Kaiser | 20.12.24 10:10

Ich habe in meinem Leben schon eine ganze Reihe von Persönlichkeits- und Stärkentests ausgefüllt. Angefangen beim DISG-Test über den CliftonStrengths-Test sowie 16 Personalities, den LPP-Persönlichkeitstest und sparketype bis hin zu charakterstaerken.org.

Kurz gesagt: Es waren einige – und es gibt noch viele weitere. Die Liste ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs.

In früheren Jobs habe ich einige der Tests von Bewerberinnen und Bewerbern oder von Teams ausfüllen lassen, um ihre Ergebnisse zu analysieren. Ziel war es zu sehen, ob der- oder diejenige ins Team passen würde oder wie sich die Zusammenarbeit eines Teams weiter verbessern ließe.

Ich wurde auch nicht müde, Menschen in meinem privaten Umfeld vom CliftonStrengths-Test zu erzählen, ihnen dazu zu raten, ihn auszufüllen, und ihnen die verschiedenen Stärken schmackhaft zu machen. Vielleicht auch nur deshalb, weil mir mein eigenes Ergebnis ganz gut gefallen hat.

Und obwohl ich nach wie vor glaube, dass seriöse Tests hilfreich sein können, muss ich mittlerweile doch differenzierter auf das Thema schauen.

Karin Lausch beleuchtet in ihrem Buch „Trust me“ in diesem Zusammenhang einen wichtigen Aspekt: Wir neigen nur allzu schnell dazu, Persönlichkeitsprofile zu missbrauchen, um uns zu bewerten und in Kategorien einzuteilen.

„Nach bestimmten Schemata und Erläuterungen zeigen die Profile, wie wir ticken und welche Fähigkeiten wir haben. […] Allein die Farben und die ihnen zugeordneten Attribute, mit denen solche Tests und Profile arbeiten, laden dazu ein, unser Menschsein zu stark zu vereinfachen und plakativ zu überzeichnen. […] Menschen zu bewerten und sie in Kategorien einzusortieren, macht das Leben leichter, denn es reduziert Komplexität. Aber so entstehen schnell bewertende Begrifflichkeiten wie »High Potential« oder »Low Performer«. Wir sprechen von Menschen, als seien sie das Obst zweiter Wahl im Supermarkt.“[1]

Dabei lehnt sie Tests dieser Art nicht ab – keineswegs. Sie stellt durchaus auch die Sinnhaftigkeit solcher Persönlichkeitsprofile heraus – vorausgesetzt, wir verwenden sie richtig.

Mein heutiger Blick auf das Thema

Ergebnisse von Stärken- oder Persönlichkeitstests – so sie denn seriös sind – sollten für uns ein Indikator sein, ein Richtungsweiser vielleicht. Doch wir sollten niemals dem Fehler unterliegen, dem, was dabei herauskommt oder was wir herauslesen, sklavisch zu unterliegen.

Dafür kenne ich zu viele Frauen, die mit dem Ergebnis ihres Stärkentests unglücklich waren. Ich möchte Männer da nicht ausschließen, aber erlebt habe ich es bisher nur bei Frauen.

Sie fühlten sich kleiner, unzufriedener, haben in Teilen sogar Karrierepläne verworfen, weil ihnen ihr Ergebnis – oder ihre Interpretation davon – etwas Negatives suggerierte. Weil es den Scheinwerfer auf einen Aspekt ihrer Persönlichkeit lenkte, der sie plötzlich weniger empathisch, weniger strategisch, weniger fähig erscheinen ließ.

Natürlich steckt darin immer unsere eigene Sichtweise. Wir füllen den Test aus. Wir lesen die Ergebnisse. Wir verknüpfen sie mit Erfahrungen, Erinnerungen und Ängsten, die in uns schlummern. Und das lässt sich nicht vermeiden.

Egal, wie gut du gecoacht wirst, dein eigener Verstand macht etwas aus den Ergebnissen, das von außen niemand sieht.

Hilf ihm und dir selbst dabei, das Ergebnis richtig einzuordnen. Verwirf wegen einer Auswertung nicht gleich deine Zukunftspläne, sondern überlege, ob du oder jemand anderes etwas hineininterpretiert, das nicht da ist. Oder ob sich die Pläne vielleicht ohnehin nicht richtig angefühlt haben und dir das Ergebnis jetzt nur den letzten Impuls gibt.

Hör in dich hinein und denk daran: Der Moment, in dem du den Test ausfüllst, ist eben nur ein Moment innerhalb eines komplexen und sich bewegenden Lebens. Du bist vielschichtiger, als jedes Testergebnis es sein kann.

Also lehn dich zurück, schau es dir genau an – auch mehr als nur ein einziges Mal. Konsultiere gern einen Coach dazu. Und geh immer wieder tief in dich, bevor dein Verstand und du entscheiden, was ihr mit den Ergebnissen anfangen wollt.

 

[1] Lausch, Karin. Trust me. Warum Vertrauen die Zukunft der Arbeit ist. (Haufe Sachbuch Wirtschaft)