Blog rund um agiles Arbeiten und Teamkultur | Yvonne Kaiser

Vertrauen im Team: Warum Chefs öfter loslassen sollten

Geschrieben von Yvonne Kaiser | 17.01.25 10:31

Wozu hab‘ ich dich nochmal eingestellt?

Hand hoch, wer hat’s schon mal erlebt: Der Chef – oder die Chefin – weiß es besser und entscheidet über deinen Kopf hinweg.

 

Und jetzt die umgekehrte Frage: Wer hat sich schon mal über die Empfehlung des eigenen Teams hinweggesetzt, weil er oder sie dachte, selbst die bessere Lösung zu haben?

Und – was war das Ergebnis? Ich meine nicht, das fachliche Ergebnis. Ich meine das Ergebnis innerhalb des Teams. Was hat das mit dem Team gemacht – insbesondere, wenn es nicht nur einmal, sondern regelmäßig vorkommt.

Die Antwort darauf habe ich – und hat wahrscheinlich beinah jeder – schon mehr als einmal erlebt: Demotivation.

Ignoriere ich als Führungskraft häufiger die Empfehlungen meines Teams, bauen die Teammitglieder eine Distanz zu ihren Aufgaben und zu ihrem Job auf, weil sie glauben, ohnehin nicht gehört zu werden. Im schlimmsten Fall endet das darin, dass sie innerlich kündigen. Die HR-Plattform Personio listet dafür folgende Beispiele für mögliche Ursachen auf:

  • Führungsfehler
  • Mangelnde Wertschätzung
  • Unterforderung
  • Fehlende Entwicklungsmöglichkeiten
  • Konflikte
  • Ungerechtigkeit
  • Fehlender Sinn

Manch einer wird jetzt sagen: Ich hatte nun aber einmal selbst die bessere Lösung.

Und das kann sogar sein. Ich möchte den Chef:innen dieser Welt ihre Kompetenzen gar nicht absprechen. Viele von ihnen kommen aus dem Fachbereich, den sie führen sollen, und kennen sich sicherlich wunderbar damit aus. Möglicherweise nicht mit jedem kleinen Detail. Vielleicht auch nicht mit jedem Aspekt des Bereichs. Aber doch passabel. Und daran ist erst einmal nichts verkehrt.

Die eigentliche Frage lautet aber: Wozu hast du deine Teammitglieder dann? Wozu sind sie in deinem Team, wenn nicht dazu, eigenständig zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen?

Und die noch viel bessere Frage: Wenn du es so viel besser weißt als deine Teammitglieder, warum befähigst du sie dann nicht dazu, dass sie beim nächsten Mal selbst in der Lage sind, die Entscheidung (in deinem Sinne) zu treffen?

Denn worum es hier eigentlich geht, ist nicht, wer’s besser weiß und wer nicht, sondern Vertrauen. Das mangelnde Vertrauen von Führungskräften in ihre Teammitglieder.

In „Die 5 Dysfunktionen eines Teams“ beschreibt Patrick Lencioni, dass Vertrauen die Basis für unsere Zusammenarbeit als Team ist. Fehlendes Vertrauen oder mangelnde Offenheit untereinander führen dazu, dass uns weitere wichtige Bestandteile wie Konfliktbereitschaft, Verbindlichkeit, Verantwortlichkeit und gemeinsame Ziele verwehrt bleiben können.

Was braucht es also, um Vertrauen erzeugen zu können?

Es gibt eine Reihe verschiedener Modelle, die je nach Kontext die notwendigen Komponenten für Vertrauen erklären – beispielsweise das „magische Dreieck von Vertrauen“ nach Prof. Dr. Yasmin Weiß oder die „Vertrauensformel“ nach David Maister, Charles Green und Robert Galford.

Letztere benennen in „The Trusted Advisor“ vier Dimensionen, die für Vertrauenswürdigkeit notwendig sind: Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit, Intimität und Selbstorientierung. Im Buch beziehen sich die Autoren dabei vor allem auf die Beziehung zu Kund:innen.

Allerdings wissen wir beispielsweise von De Jong, Dirks und Gillespie, dass Vertrauen und Leistung bei Teams in engem Zusammenhang stehen. Vor allem wenn die Aufgaben innerhalb eines Teams voneinander abhängen oder aufeinander aufbauen, ist Vertrauen als Basis entscheidend, um ein performantes Team zu bilden.

Daher nutzen wir die Vertrauensformel in diesem Zusammenhang für das Vertrauen zwischen Teammitgliedern.

Die ersten beiden Dimensionen, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit, sind für uns von den Handlungen anderer ableitbar:

Glaubwürdigkeit

Ob ein Teammitglied auf uns glaubwürdig wirkt, hängt beispielsweise von ihrem oder ihrer Fachkenntnis ab. Wie fundiert ist das, was unsere Kollegin oder unser Kollege macht oder sagt? Handelt er oder sie auf Basis von Kenntnissen oder erscheinen uns ihre oder seine Taten willkürlich?

Verlässlichkeit

Ob ein Teammitglied einen verlässlichen Eindruck auf uns macht, zeigt sich darin, wie zuverlässig sein oder ihr Verhalten über einen längeren Zeitraum ist. Kann ich als Führungskraft oder Kolleg:in also darauf vertrauen, dass er oder sie sich auf eine bestimmte Art und Weise verhält. Kurz gesagt: Kann ich mich auf ihn oder sie verlassen?

Schwieriger wird es für uns bei den Dimensionen Intimität und Selbstorientierung, wobei Intimität in diesem Zusammenhang unser Gefühl oder unseren Instinkt dafür meint, ob wir einer anderen Person vertrauen können oder nicht.

Geprägt wird dieses Gefühl für uns durch unseren eigenen Kontext: Welche Erfahrungen haben wir in der Vergangenheit gemacht? Wie sieht unser Menschenbild aus? Verfügen wir über sogenanntes Urvertrauen? Je positiver diese Faktoren auf den Blick einwirken, den wir auf unsere Teammitglieder haben, umso einfacher werden wir Intimität erlangen können und Vertrauen aufbauen.

Die vierte Dimension – Selbstorientierung – sollte möglichst gering sein, um Vertrauen aufbauen zu können. Das bedeutet: Je uneigennütziger uns die Motive unserer Teammitglieder erscheinen, umso leichter können wir einander vertrauen.

Kommen wir mit diesem Wissen zum Anfang dieses Beitrags – und damit zur Führungskraft-Team-Beziehung – zurück: Hier ist Handeln auf beiden Seiten gefragt.

Die Führungskraft muss sich fragen, welche der vier Dimensionen im Ungleichgewicht ist (oder sind): Glaubst du, dass dein Team kompetent ist? Hältst du es also für glaubwürdig? Und kannst du dich auf deine Kolleg:innen verlassen? Wie steht es um deinen Instinkt? Rät er dir dazu, ihnen zu vertrauen? Und welche Motive unterstellst du ihnen?

Andersherum können die Teammitglieder an den Dimensionen und daran, wie sie auf andere wirken, arbeiten.

Und ganz nebenbei sollte sich unsere Führungskraft aus diesem Beispiel auch fragen: Vertraut mein Team mir? Oder mangelt es auf beiden Seiten am bitternotwendigen Vertrauensverhältnis?

Wie immer bleibt eines am wichtigsten: Sprecht miteinander. Eine offene Kommunikation miteinander – auch darüber, ob ihr einander vertraut oder nicht – ist essenziell, um das derzeit vielleicht noch fehlende Vertrauen aufbauen zu können.