Blog rund um agiles Arbeiten und Teamkultur | Yvonne Kaiser

Warum wir Veränderungen oft ablehnen und wie wir das ändern können

Geschrieben von Yvonne Kaiser | 13.12.24 10:30

„Das haben wir schon immer so gemacht.“

 

Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht.“ oder – mein ganz persönlicher Favorit – „Das ist historisch so gewachsen.“ haben mich früher auf die Palme gebracht. Als ich jünger war, war ich davon überzeugt, dass Menschen, die so etwas sagen, einfach zu faul sind, selbst zu denken.

Ich dachte, sie haben sich in ihr Schicksal ergeben und wollen nichts tun, um daran etwas zu verändern. Bis mir diese Sätze plötzlich selbst über die Lippen kamen. Ironisch zwar, aber da waren sie. Hingen vor mir in der Luft und verspotteten mich und meine arroganten jugendlichen Ansichten.

Also habe ich angefangen, darüber nachzudenken, warum wir solche Sätze äußern. Was steckt dahinter? Wo liegen die Ursachen? Und was können wir unternehmen, um den Frust, der unter Umständen darin mitschwingt, zu verhindern?

Schauen wir uns zunächst an, in welchen Situationen wir Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht.“ von uns geben. Nehmen wir an, ein neuer Kollege oder eine neue Kollegin ist seit kurzer Zeit in unserem Team, hat noch einen frischen Blick auf die Themen und Prozesse im Unternehmen und hinterfragt, warum wir Aufgaben so erledigen, wie wir sie erledigen. Möglicherweise hat er oder sie sogar spontan eine andere Lösung parat, um die gleiche Aufgabe zu bearbeiten.

Unsere Antwort „Das machen wir so, weil wir es schon immer so gemacht haben.“ ist ein erster Impuls. Wir nehmen eine Verteidigungshaltung ein, weil wir die Aussage unseres Gegenübers als Kritik – möglicherweise sogar als Angriff – auf unsere bisherige Arbeit sehen. Wir fühlen uns heruntergestuft. Möglicherweise ist es uns sogar peinlich, dass wir nicht früher auf die Idee gekommen sind, diese Änderung vorzunehmen. Also reagieren wir erst einmal abwehrend, anstatt zu sagen „Gute Idee. Lass uns das testen.“

Ich weiß, was du jetzt sagen willst: Es gibt ja gute Gründe, warum das nicht so funktioniert, wie dieser Grünschnabel das behauptet. Wir müssen Prozesse berücksichtigen. Und Verantwortlichkeiten. Und diese und jene Sonderlocke. Und überhaupt und sowieso.

Was ist, wenn wir all das mal beiseitelassen? Was passiert, wenn wir uns einfach mal auf das Gedankenspiel einlassen und mal schauen, was es uns bringen würde, wenn wir auf den Vorschlag eingehen? Danach können wir immer noch all die Bedenken und Gegenargumente auf den Tisch legen, sie uns nach und nach anschauen – und prüfen, was sich ändern müsste, um die Idee unseres neuen Kollegen oder Kollegin in die Tat umzusetzen.

Oder positiv gesagt: Wir schauen uns das neue Szenario an und überlegen uns, was es braucht, um es möglich zu machen.

Je nachdem, wie groß das Thema ist, um das es geht, spielt hier natürlich ein entscheidender Faktor eine Rolle: die Angst vor Veränderung. Je weiter weg der neue Vorschlag vom alten Vorgehen ist oder je größer der Prozess ist, um den es geht, umso höher könnte unser Widerstand ausfallen. Häufig steckt dahinter unser Bedürfnis, Dinge so zu belassen, wie sie sind. Sie zu bewahren.

Wenn ich in neue Teams komme, spiele ich als Erstes häufig ein Spiel mit ihnen, in dem es genau darum geht:

Zuerst bitte ich die Personen, sich zu Paaren zusammenzufinden und sich Rücken an Rücken zu stellen. Einer von beiden ist Spieler A. Der andere Spieler B.

Im Anschluss soll Spieler A drei Dinge an sich verändern. Dann drehen sich beide zueinander und Spieler B soll herausfinden, welche drei Dinge Spieler A an sich verändert hat. Das Ganze natürlich unter Zeitdruck.

Dann drehen sich beide wieder um – und wir wiederholen das Ganze noch mindestens zweimal.

Das Verhalten der Teammitglieder ist immer das Gleiche:

  • Die meisten As nehmen etwas von sich weg bzw. legen etwas ab, wenn ich sage, sie sollen etwas verändern. Sie könnten genauso gut etwas dazunehmen. Aber wir verstehen Veränderung häufig als Wegnehmen. Und das schmerzt uns.
  • Wenn die erste Raterunde vorbei ist, neigen die As außerdem dazu, die vorgenommenen Veränderungen direkt wieder rückgängig zu machen, obwohl ich davon nichts gesagt habe. Wir haben also das Bedürfnis, zum Ursprungszustand zurückzukehren.
  • Und nicht zu vergessen: Spätestens ab Runde 3 stöhnen alle auf, weil sie keine Lust mehr auf Veränderung haben. Sie wollen einfach nicht so viele Veränderungen in so kurzer Zeit.

Obwohl es nur ein Spiel ist, steckt doch sehr viel Wahres darin. Wir mögen Veränderungen nicht unbedingt. Manchen Menschen fällt es leichter, mit ihnen umzugehen. Anderen fällt es deutlich schwerer.

Im Arbeitskontext bin ich beispielsweise jemand, der schnell und ungeduldig nach Veränderung strebt. Das mag zum einen an meinen Stärken liegen. Zum anderen liegt es wahrscheinlich aber auch daran, dass ich in meinem privaten Umfeld sehr viel Stabilität genieße und dadurch immer einen Ausgleich habe.

Wie gut oder schlecht wir mit Veränderungen umgehen können, hängt aber von jedem selbst ab. Einem Arbeitskollegen von mir ging es beispielsweise genau andersherum: Als ich ihn fragte, wie gut er mit Veränderungen umgehen könne, war seine Antwort: „Ich habe in den letzten Jahren beruflich und privat so viele Veränderungen durchlebt. Ich habe mich daran gewöhnt.“

Darin war keine Resignation zu hören. Im Gegenteil: Er stößt viele Veränderungen in seinem Team bewusst an. Andere würden in der gleichen Situation aber ganz anders reagieren. Ich habe Teammitglieder erlebt, die mir gesagt haben: „Ich möchte die Veränderung gern mitgehen und ich finde sie gut, aber können wir sie etwas langsamer angehen?“

Und auch das ist völlig in Ordnung – und zeugt ganz nebenbei von guter Selbstreflexion. Zu verstehen, dass man die Änderung möchte, dass sie nur zu schnell daherkommt, ist deutlich mehr, als eine Veränderung komplett abzulehnen, ohne zu hinterfragen, weshalb eigentlich.

Wenn unser Gegenüber also Sätze wie „Das machen wir so, weil es historisch so gewachsen ist.“ äußert, dann sollten wir dahinter schauen. Denn die Gründe für die Phrase sind divers: Ich kann Veränderung mögen, mich aber ohnmächtig fühlen, sie in meinem aktuellen Kontext anzustoßen. Oder ich könnte mich schämen, nicht selbst darauf gekommen zu sein. Oder ich kann Veränderung ablehnen, weil sie mir schwerfällt.

Wie so oft im Leben gibt es auch hier kein Schwarz oder Weiß. Die Antwort liegt dazwischen in vielen Graustufen – und es ist an uns, als derjenige, der den Satz äußert, zu hinterfragen, weshalb wir so etwas sagen. Und an demjenigen, dem der Satz entgegengeschmettert wird, zu überlegen, warum das Gegenüber so reagiert.

Hilfreich dafür kann das Enablement Radar von Me & Company sein. Es unterstützt uns dabei, herauszufinden, worin die Ursachen für Reaktionen liegen und Lösungen abzuleiten.

Beispielsweise ist es möglich, dass ich als Mensch ein Thema nicht oder falsch verstehe – oder dass ich das Thema nicht angehen will. Und auch das hat wiederum verschiedene Hintergründe. Es ist aber auch denkbar, dass mein Team ein Thema nicht angehen kann, weil uns unter Umständen etwas dafür fehlt (Kompetenzen, Ressourcen, Wissen). Oder wir dürfen es im Team nicht angehen, weil (informelle) Strukturen, Rahmenbedingungen oder unternehmenspolitische Gegebenheiten es verhindern.

Und nur selten tritt einer dieser vier Fälle (verstehen, wollen, können, dürfen) allein auf. Häufig haben wir es in unserem Alltag mit einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Szenarien zu tun.

Langer Rede kurzer Sinn: Bevor wir das nächste Mal mit den Augen rollen, wenn jemand einen Satz wie „Das haben wir schon immer so gemacht.“ vor das Veränderungsloch schiebt, sollten wir uns den- oder diejenigen womöglich mal kurz schnappen und gemeinsam herausfinden, warum er oder sie das gesagt hat – und ob der neue Vorschlag nicht doch effizienter, zielführender – oder was auch immer – und vor allem umsetzbar ist.