„Kleider machen Leute“ – ein Satz, den ich mir in einem meiner früheren Jobs häufiger anhören...
Kennenlernen. Vorstellen. Danke schön. Auf Wiedersehen.
Es ist dieses ambivalente Gefühl der Aufregung, ausgelöst durch Furcht und Freude gleichermaßen, das Kennenlern- und Vorstellungsgespräche für mich als Bewerberin prägt.
Einerseits bin ich furchtbar aufgeregt, weil ich nicht genau weiß, was mich erwartet. Bin ich gut vorbereitet? Entspreche ich den Erwartungen? Entspricht der Job, das Unternehmen, die Menschen meinen Erwartungen? Welche Fragen werden sie mir stellen? Welche Fragen sollte ich stellen? Welchen ersten Eindruck mache ich wohl? Bin ich kompetent genug? Und so weiter und so fort.
Andererseits bin ich freudig erregt – geradezu euphorisch. Denn das Gespräch verspricht die Chance auf etwas Neues. Eine Herausforderung, die vor mir liegt und die mich wachsen lässt.
In der Mischung beider Gefühlswelten taumelte ich in der Vergangenheit schon oft zu solchen Gesprächen. Manchmal wurden meine Hoffnungen erfüllt – und manchmal hat es eben nicht geklappt. Gelernt habe ich so oder so etwas daraus.
Denn egal, wie das Gespräch verläuft, es ist definitiv eine Erfahrung, aus der ich mir etwas für mich ziehen kann. Auch – und vor allem – Scheitern hilft mir dabei, mich weiterzuentwickeln und besser zu werden.
Getreu dem Motto von John C. Maxwell:
„Fail early. Fail often. But always fail forward.“
Die Spanne dessen, was wir aus Kennenlern- und Vorstellungsgesprächen lernen können, ist groß. Sie reicht von der zwischenmenschlichen Chemie über fachliche Anforderungen bis hin zu organisatorischen Rahmenbedingungen.
Stimmt die Chemie nicht, können wir meist wenig tun. Oder?
Ich saß bereits in Vorstellungsgesprächen, in denen ich direkt zu Beginn sagen konnte: „Du und ich – wir werden keine Freunde.“
Interessanterweise habe ich mich dennoch manchmal für den Job entschieden. Letztlich war es ein Abwägen. Wir müssen keine Freunde werden, aber komme ich ausreichend gut mit dir zurecht, um den Job trotzdem anzutreten? Oder: Ist mein Schmerz in meinem alten Job so groß oder der Job, der mir angeboten wird, so gut, dass es mir das trotzdem wert ist, zwischenmenschlich Abstriche zu machen?
Die Entscheidung hängt von vielen Faktoren ab – nicht nur davon, wie dringend ich den Job brauche. Auch davon, wie sehr mich die zwischenmenschliche Komponente beschäftigt. Kann ich mit einer Führungskraft arbeiten, die ich nicht mag? Und auch hier sind die Facetten zahlreich: Mag ich sie nicht, weil ich sie nicht für kompetent genug halte? Oder weil wir einfach nicht auf einen Nenner kommen? Oder, oder, oder.
Allein, indem ich diesen Fragen auf den Grund gehe, lerne ich viel über mich selbst: Was für ein Mensch bin ich? Was ist mir wichtig – was nicht? Wie will ich auf Arbeit mit anderen – insbesondere mit meiner Führungskraft – umgehen? Brauche ich ein eher familiäres Umfeld oder schätze ich den klar gegliederten Aufbau eines hierarchischen Unternehmens?
Wenn ich feststelle, dass mir mein Gegenüber nicht passt, ist das eine Chance für mich.
Sind es dagegen fachliche Anforderungen, die nicht stimmen, ist die Wahl – aus meiner Sicht – leichter. Hier kann das Pendel in weniger Richtungen ausschlagen: Wäre ich im neuen Job unterfordert? Dann klingt das für mich nicht nach einer produktiven Arbeit. Wäre ich überfordert? Dann birgt das zwar die Gelegenheit für Wachstum, gleichzeitig aber auch das Risiko, komplett zu scheitern. Beide Extreme – Über- und Unterforderung im Berufsleben – können für fehlenden Flow, ausbleibende Produktivität und dadurch für Frust sorgen. Im schlimmsten Fall können sie uns sogar krank machen.
Das Ideal: Genau das richtige Maß der Anforderung – mit dem Anspruch, trotzdem immer weiter dazu zu lernen.
Ob der bevorstehende Job dir das bietet, obliegt dir – und im besten Fall der offenen Kommunikation mit deinem möglichen zukünftigen Arbeitgeber.
Ähnliches gilt für die Rahmenbedingungen: Wo soll ich arbeiten? Und wo möchte ich arbeiten? Im Büro? Oder zuhause? Oder beides? Wie hoch ist das Gehalt, das mir angeboten wird? Und wie viel möchte ich verdienen? Wie viele Urlaubstage bekomme ich? Und wie viele wünsche ich mir?
Gibt es einen Obstkorb und kostenfreies Wasser? Naja, ihr kennt die Klassiker, die nur nach Mehrwert aussehen.
Es gilt eine ganze Reihe an organisatorischen Fragen zu klären, bevor du entscheiden kannst, ob das Unternehmen zu dir passt. Und auch hier kannst du etwas lernen: Über dich selbst – wo sind Grenzen für dich? Über andere – wie weit geht ein Unternehmen auf dich zu? Und über euch beide – wie kompromissbereit seid ihr, sind überhaupt Kompromisse notwendig und wie unbedingt wollt ihr miteinander in die Zukunft gehen?
Hoppla, das klingt fast nach einer Beziehung. Und wenn wir mal ganz ehrlich sind: So weit hergeholt ist der Vergleich nicht. Wir müssen uns ja nicht gleich alle ineinander verlieben, aber bei der Menge an Zeit, die wir auf Arbeit verbringen, sollte zumindest der Rahmen passen: Wo wollen wir zusammen wohnen (arbeiten)? Was bringt jeder in das (Arbeits-)Verhältnis ein? Was erwarten wir voneinander?
Und zack, indem diese Fragen geklärt sind, hast du wieder eine ganze Menge gelernt.
Das ein oder andere Kennenlern- oder Vorstellungsgespräch mehr kann also nicht unbedingt schaden. Selbst wenn am Ende nichts daraus wird und du dadurch „nur“ deinen Marktwert abcheckst (- hier endet der Beziehungsvergleich aus meiner Sicht übrigens).
Wenn du dich jetzt fragst: Was ist denn eigentlich ein Kennenlern- und was ein Vorstellungsgespräch? Ist das nicht das Gleiche?
Dann kann ich dir nur sagen: Nein, ist es nicht. Es gibt tatsächlich Unterschiede. Während ein Kennenlerngespräch eher informell ist und sich darum dreht, dass man sich – wie der Name schon sagt – gegenseitig und auf persönlicher Ebene kennenlernt, ist das Vorstellungsgespräch in seiner formellen Art eher dazu da, die fachlichen und organisatorischen Komponenten abzustimmen.
Du solltest also genau aufpassen, zu welcher Art von Gespräch du eingeladen wirst, um deine Erwartung demgemäß steuern zu können.
Und wenn es gar kein Kennenlern-, sondern „nur“ ein Vorstellungsgespräch gibt, ist das ja vielleicht auch schon ein Statement. Möglicherweise.
Um aus dem Nähkästchen zu plaudern: Ich hatte schon beides – wie wahrscheinlich die meisten. Meine Erfahrungen reichen von einem angenehmen Gespräch bei Kaffee über Stärken und Schwächen auflisten bis zum Kopfrechnen. Rückblickend kann ich sagen, dass das Gespräch viel über die Art des Arbeitens verrät. Viel mehr, als ich vorher gedacht hätte.
Überspitzt gesagt: Hat sich das erste Gespräch schon nach Machtkampf und Prüfung angefühlt, hat es jeder darauffolgende Arbeitstag ebenfalls getan. Hatte es dagegen den Charakter eines Austauschs unter Freunden, war auch das Arbeiten eher frei und gestaltbar. Womit du dich wohler fühlst, bleibt dir überlassen.
Und sobald du selbst jemanden einstellen möchtest, musst du dich natürlich fragen: Welche Art von Gespräch möchte ich führen? Welches Gefühl möchte ich meinem Bewerber oder meiner Bewerberin vermitteln?
Ich habe früher mal ganz klassisch angefangen, wie ich es selbst am eigenen Leib erfahren hatte: Stärken, Schwächen, Zeugnisse, Erfahrung. Einige Fehlentscheidungen später habe ich daraus gelernt. Heute konzentriere ich mich viel stärker darauf, den Menschen hinter dem Bewerbungsschreiben kennenzulernen, und versuche herauszufinden, wie er oder sie in verschiedenen Situationen (re)agieren würde.
Denn aus meiner Erfahrung heraus haben mir selbst und den Bewerber:innen fachliche Lücken viel weniger weh getan als menschliche Differenzen. An fachlicher Unkenntnis konnten wir – nicht immer, aber meistens – arbeiten. Wenn ich mich von jemandem wieder trennen musste, weil wir menschlich nicht übereingekommen sind, hat das jedes Mal geschmerzt.
Darum komme ich an dieser Stelle zum gleichen Schluss wie in meinem Artikel zum Coaching: Wenn die Chemie nicht stimmt, gibt es – wie in einer Beziehung – häufig kein Happy End. Aus- und Weiterbildungen und Erfahrung – das ist alles gut und schön und zweifelsohne wichtig, aber wir sind Menschen. Und das sollten wir im Arbeitskontext, ganz besonders in Kennenlern- und Vorstellungsgesprächen, nicht vergessen.
Kommen wir doch mal zur abschließenden Frage: Wohin führt uns dieser Text?
Zu folgender – wenig überraschender – Schlussfolgerung: Vertrau deinem Bauch – egal, ob du Bewerber:in oder Arbeitgeber bist. Lerne aus jeder Erfahrung und lerne vor allem den Menschen kennen. Vermeidet Schmerz, wenn möglich. Aber wenn ihr euch irrt, dann lernt wenigstens daraus. Und noch besser: Sprecht gemeinsam darüber und lernt dabei beide etwas.
Und wenn alles passt: Dann herzlichen Glückwunsch und viel Spaß!